Kinder kriegen – aber wann bloß?

„Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber haben Sie sich schon einmal darum Gedanken gemacht, ob und wann Sie sich ein Kind wünschen?“ In wohlverpackten Worten versuchte ich die beruflich erfolgreiche 35jährige, die einmal im Jahr routinemäßig zur Vorsorge-Untersuchung kommt, auf das brenzlige Thema zu stoßen. Eine solche Frage zur persönlichen Lebensplanung wäre mir vor 20 Jahren noch nicht in den Sinn gekommen. Damals hatte die große Mehrzahl der 35jährigen längst ein Kind, oder gleich zwei oder drei. Damals brachten Frauen ihr erstes Kind mit durchschnittlich 22 Jahren zur Welt, heute mit ca. 30 Jahren. Seither ist auch die Zahl der Neugeborenen drastisch geschrumpft. Inzwischen werden jährlich nur 8,8 Kinder pro 1000 Einwohner in Deutschland geboren. Weniger Kinder gibt es nur noch im Vatikan. In unserem Nachbarland Frankreich sind es immerhin 13. Mehr und mehr Frauen bleiben kinderlos, ihre Zahl ist auf 26% angewachsen. Von den Hochschulabsolventinnen sind es sogar 40%, die auf Kinder verzichten.

So manche Frau wünscht sich durchaus ein Kind, nur nicht jetzt, sondern später, in ein paar Jahren, wenn der Arbeitsstreß weniger geworden ist, wenn das Haus gebaut ist, wenn die ersehnte Neuseelandreise hinter ihr liegt oder was es sonst noch an Gründen gibt. Sie vergißt dabei, daß sie stetig älter wird. In den Praxen der Reproduktionsmediziner tauchen immer mehr 40- bis 42jährige auf, die dringlichsten Kinderwunsch haben. Sie symbolisieren das Dilemma. Unsere Kultur, unsere Gesellschaft haben sich dramatisch verändert. Eine qualifizierte, langdauernde Ausbildung, eine anspruchsvolle Berufstätigkeit, die alles, selbst die letzten Reserven fordert, Erfolg und Anerkennung im Beruf lassen nicht viel Spielraum fürs Kinderkriegen. Als Alternative drohen viel Babygeschrei, Kinderbetreuung ganztags und mancherlei Einschränkungen bis hin zu den finanziellen. Das ist nicht gerade ein Anreiz.

Schuld an der dramatischen Kinderarmut sind nicht die Frauen, schuld ist eine gesamte Gesellschaft, die nicht eben kinderfreundlich und noch weniger mütterfreundlich ist, in der die raren Kindergarten- oder Vorschulplätze zäh erkämpft und teuer erstanden werden müssen. Bei unseren offensichtlich klügeren Nachbarn in Frankreich oder Holland ist das alles kein Problem. Da erhalten junge Mütter ganz selbstverständlich viele Hilfen, können sie problemlos Kinder und Berufstätigkeit verbinden, finden sie Anerkennung und Achtung als berufstätige Mütter. Und – trauen sich, Kinder zu bekommen. Warum nicht bei uns?

Der Wunsch nach Kindern ist ein Grundbedürfnis. Die Menschheit würde gar nicht existieren, wäre er nicht zutiefst in jedem von uns angelegt. Wo er allerdings so sehr verdrängt wird wie in unserer Gesellschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts, da ist auch die Verantwortung von uns Frauenärzten gefordert. Wir müssen unsere jungen Patientinnen gelegentlich darauf hinweisen, daß in ihnen eine biologische Uhr tickt, daß die Evolution uns so geschaffen hat, daß Kinder dann zur Welt kommen sollen, wenn wir am gesündesten sind. Und das ist nun einmal lange vor dem 40. Lebensjahr. Auch, wenn es den Reproduktionsmedizinern immer wieder gelingt, der Natur ein Schnäppchen zu schlagen, allerdings nur mit enorm hohen Kosten. Die Frage nach der persönlichen Lebensplanung stellt keinen Angriff auf die Privatsphäre einen Patientin dar, sondern basiert auf der Berufs- und oft auch der Lebenserfahrung der Ärzte.

Wir kennen die biologischen Veränderungen, die das Schwangerwerden erschweren, die ersten Alterszeichen von Frauen über 35, die nicht mehr regelmäßig funktionierenden Eierstöcke, die nun immer häufiger werdenden Myome der Gebärmutter und die Blutungsstörungen, das mit den Jahren ansteigende Gewicht und den beginnenden Bluthochdruck. Und wir kennen ebenso die unerfüllte Traurigkeit so mancher Frau, der zu spät klar wurde, daß sie sich ihren natürlichen Kinderwunsch versagt hat. Deshalb erlauben wir uns manchmal die Indiskretion der Frage, wann denn der Nachwuchs kommen soll. Übrigens, die eingangs erwähnte 35jährige vielbeschäftigte leitende Firmenmitarbeiterin war ganz dankbar für das offene Wort. Sie ist inzwischen glücklich schwanger.

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