Spontangeburt, Beckenboden und Spätfolgen

Lea L. aus Willich sorgt sich: „Wie übersteht die Muskulatur des Beckenbodens eine normale Geburt?

Jeder kennt vielfache Berichte von glücklicher, schneller und problemloser Spontangeburt. Alles gut gelaufen. Aber es gibt auch so manche Fälle mit langdauernden und anstrengenden Presswehen, bis das Kind endlich da war. Die Passage des Kindes durch den engen Geburtskanal stellt die maximale Dehnung des mütterlichen Beckenbodens und die größtmögliche Belastung von dessen komplexer Muskulatur dar. Manche Muskeln werden bis zu 250% gedehnt. Oft kommt es dabei zu Muskeleinrissen, vor allem am Musculus levator. Nach neueren Untersuchungen sind Beckenbodenschäden, von leicht bis schwerwiegend, eher die Regel. Lediglich 33% aller Frauen bleiben bei der Spontangeburt unversehrt. Am folgenschwersten gilt die Entbindung mit der Zange, die ein siebenfach höheres Risiko für schwere Muskelläsionen birgt. Das Problem besteht darin, dass bei der Untersuchung gleich nach der Geburt selbst Muskelabrisse kaum erkennbar sind. Im Gegensatz zur vaginalen Geburt treten derartige Schäden bei einem Kaiserschnitt nicht oder sehr selten auf. Die Spätfolgen der geschädigten Beckenbodenmuskulatur können Scheiden- und Gebärmuttersenkung sein, auch Darmvorfall, Verletzung des analen Schließmuskels, Harn- und manchmal Stuhlinkontinenz; mit fortschreitendem Lebensalter in zunehmendem Ausmaß. Muskelläsion unter intakter Scheidenhaut sind meist nicht gleich nach der Geburt erkennbar, ihre Folgen machen sich oft erst nach Jahren bemerkbar.

Doch mittlerweile kommt es in der Geburtshilfe immer mehr zu einem Bewusstseinswandel. In vielen Kliniken gehört die Aufklärung über die individuellen Risiken einer vaginalen Entbindung inzwischen zum Standard bei der Geburtsplanung. Informationsbroschüren sollten schon vorher von den zukünftigen Eltern gelesen sein. Ziel dieser Beratung ist ein „informed consent“, d. h. die aufgeklärte werdende Mutter soll wissen, was bei einer Geburt geschieht bzw. geschehen kann, und ggfs. mitentscheiden können.

Urogynäkologen, die Fachleute für derartige Probleme, haben jetzt Modelle zur Berechnung des individuellen Risikos für Folgeschäden nach vaginaler Geburt entwickelt. In solch einen Score gehen mütterliches Alter, Schätzgewicht des Kindes und dessen Kopfumfang ein, ebenso Körpergröße und Gewicht der Schwangeren. Aus diesen Daten lässt sich die Wahrscheinlichkeit für Beckenbodenschäden und spätere Inkontinenz oder einen Darmvorfall kalkulieren. Über ein Vorhersagetool mit der Abfrage verschiedener Risikofaktoren kann man inzwischen sogar das eigene Risiko abschätzen (derzeit nur in Englisch; http://riskcalc.org/UR_CHOICE). Darüber hinaus ermöglichen neue Ultraschallmethoden während der Geburt auch eine gewisse Voraussage potentieller Schäden.

Sehr wichtig ist außerdem, schon bald nach der Spontangeburt frühzeitige Maßnahmen gegen eine Beckenbodenschwäche einzuleiten. Dazu gehören evtl. auch postpartal eingesetzte Scheidenpessare, die für 6 Wochen liegen bleiben. Am wichtigsten ist aber das Erlernen des Beckenbodentrainings. Dieses Training gehört zum Alltag, am besten lebenslänglich. Es lohnt sich.

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